net_works

 

Die Frage, wie viele Bilder sich zur Zeit im WorldWideWeb befinden, konnte in den vorangegangenen Recherchen bis heute nicht schlüssig beantwortet werden - es ist davon auszugehen, dass die genaue Anzahl nicht feststellbar ist. Dennoch - mit der Freigabe eines einst militärischen Instrumentes für „alle“ hat sich die Menschheit die in ihrer Geschichte größte Sammlung an Bildern und Texten erschaffen. Es ist müßig zu erwähnen, dass diese Milliarden an Bildern und Worten auch vierundzwanzig Stunden pro Tag abrufbar sind - alles in allem ein unfassbarer Überfluss. Das Medium, das zur Übermittlung von Informationen konzipiert wurde, ist zu einer Ausstellung multipler Welten und Sehnsüchte mutiert. Menschen vereinen sich berührungslos zu virtuellen Gemein-schaften und zelebrieren Sexualität, Religion, Gewalt, Keuschheit, Fetischismus und Spiritualität in allen Ausprägungen.  Das Ende der Epoche der Herrschaft des dinglichen Konsums scheint nahe, und die Menschen sind bereit, sich selbst, ihre Gefühle und Sehnsüchte      

 

 

zu thematisieren als ihren ureigensten Besitz - und ihn im globalen Netzwerk abzubilden oder auch nur zu konsumieren. Dieser Umstand drückt sich aus in einem steigenden Grad an Exhibitionismus, abzulesen an enormen Zugriffszahlen in Web-Sites oder Chat-Rooms zu bereits erwähnten Themen, oder auch an der Beliebtheit von Single-, Partner- und Kontaktbörsen, in denen sich tausende Liebeshungrige Nacht für Nacht tummeln und Formulierungen und Begrifflichkeiten austauschen, zu denen sie im Echtkontakt wahrscheinlich nicht fähig wären. Dieses Klima der offenen Worte im verborgenen Raum in sicherer Distanz fördert den Zugang des Einzelnen zu seinen geheimsten Wünschen und bewirkt eine offensichtliche Nähe zwischen den über das Netzwerk verbundenen Seelen. 

 

Dieses Paradoxon „Distanz und Nähe“ oder „Sehnsucht und Wirklichkeit“ ist Ausgangspunkt von net_works.

 


These

 

1. Geht man von der gewagten These aus, daß im globalen Netzwerk eigentlich schon alle Bilder vorhanden sind, da ja nahezu alles abbildungswürdig ist, dann sind Bilder im Überfluss vorhanden, sie scheinen alle schon gemacht und online verfügbar zu sein - wozu also die Wirklichkeit noch einmal interpretieren, wenn es schon Tausende zuvor versucht und getan haben. Es genügt, das Bild zu suchen, das den eigenen Gedanken und Wünschen, der eigenen Sehnsucht am ehesten entspricht. Zudem birgt die Wiederaufnahme eines bereits existierenden Bildes mehr Spannung, mehr identitätslosen Exhibitionismus, mehr Geheimnis als eine Neuaufnahme. Mit Texten verhält es sich ebenso.

 

2. Durch die Grenzen der Datenübertragung im Internet erscheinen die Bilder in einer bedingungslos reduzierten Auflösung, um die notwendige Suchgeschwindigkeit sicherzustellen. Dieses Detail habe ich in meine Arbeiten als das wesentliche Gestaltungselement aufgenommen, das heißt, die Bildauflösung ist unter Verzicht auf Detailtreue so klein gewählt, dass jedes Bild ohne weiteres als Thumbnail auf einer Internetseite in höchster Geschwindigkeit aufrufbar wäre. Durch die enorme Vergrößerung bei der Umsetzung der Arbeiten treten in Folge die Pixel in den Vordergrund und ergeben eine klare ästhetische Struktur in reinen Farben. Nähert man sich dem fertigen Bild, löst sich das Bildhafte auf, entfernt man sich, wird der Bildinhalt erkennbar gegenständlich. Also ein Spiel mit Distanz und Nähe, wie bereits beschrieben. 

 

3. Die Integration von Texten erlaubt eine Umkehr dieses Spiels: Durch räumliche Nähe werden manche Texte lesbar, aus der Distanz werden sie als ornamentales Gestaltungselement wahrgenommen. Letztlich verschmelzen Bild und Text zu einem Ganzen, Sinn und Sinnlichkeit ergänzen einander in einer Symbiose des Widerspruchs. 

 

Credo

 

Die Abwendung von der eigenen künstlerischen Schöpfung des Basismaterials, die bewusste Verletzung des Urheberrechtes durch das Downloaden fremder Bilder und Worte, die Entweihung der Doktrin des Originals als Inbegriff der Kunst durch die grenzenlose Duplizierung gelten hier als mein Bekenntnis, getrieben von der Lust, aus der Fremdheit zufällig und vorsätzlich gefundenen Treibguts des Internets, in dem sich die Gedanken und Sehnsüchte mir unbekannter Menschen tausendfach spiegeln, Collagen aus Pixeln und Buchstaben neu zu formen, in bewusster Anlehnung an die Entwicklung der Musik im letzten Jahrzehnt, wo durch eine ähnliche Arbeitsweise eine Tür zu einem neuen musikalischen Schaffen aufgestoßen wurde. 

 

Leo Fellinger

 

 

Umsetzung und Auflage: 

Alle Bilder werden am Computer generiert und anschließend mittels Acryl-Inkjet-Print in einer Auflage von 7+1 Originale auf Leinen übertragen. Dennoch unterscheiden sich die einzelnen Originale voneinander, da der Print nicht in Serie durchgeführt wird, sondern jedes einzelne Bild als Einzelmotiv neu aufbereitet wird.