Egon Schiele oder „Das Obszöne im Spiegel der Zeit“

 

Biedermanns moralisch einwandfreies Weltbild wankt nicht erst seit der Erfindung des Foto- und Videoformats oder der Einführung des Internets. Immer wieder standen selbst im angeblich aufgeklärten 20. Jahrhundert Künstler wegen Verbreitung von Pornografie vor Gericht: Der Maler Egon Schiele durfte sich im Jahre 1912 in Wien wegen eines erotischen Gemäldes vor Gericht verantworten - die Verhandlung kulminierte in der öffentlichen Verbrennung des Bildes. Der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand besuchte einst die Ausstellung im Salon Pisko: “Niemand darf erfahren, dass ich mir diese Schweinerei angesehen habe“, so seine unverbürgte Aussage. Doch Egon Schiele beharrte auf seiner Darstellung von Körper und Sexualität. Er hatte eine künstlerische Eigenständigkeit entwickelt, die sich in Distanz zu akademischen Regeln und dem klassischen Schönheitskanon in expressiven Selbstbildnissen und virtuosen Akten manifestierte. 

 

Er schockierte sein Publikum mit verfremdeten Bildern voll offensiver Obszönität und übersteigertem Voyeurismus. Das erweckte den Anschein von unstillbarer und besessener Lust und trug zu der Ansicht bei, sein sexuelles Verlangen sei krankhaft. Doch Schiele machte bei all seinen Aktbildern den Vorgang des Ansehens zum Thema als den des Malens, indem er den Betrachter thematisierte.  Schiele-Aktbilder rechnen stets mit ihrem Betrachter und dessen voyeuristischer Begierde. 

In dieser, von den Arbeiten und der Sichtweise Egon Schieles nachempfundenen Serie wird Schiele selbst Teil der Bilder und damit auch ausdrucksstarkes Modell in den vorliegenden collage-artigen Werken von Leo Fellinger. Die Betrachtung der Welt, in der Egon Schiele seine Werke schuf, und das Spiegelbild der von neuen Medien dominierten Zeit zeigt die Parallelen - und damit die unveränderten obszönen Wünsche und Sehnsüchte des Betrachters.